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Sex im Alter widersprach lange gesellschaftlichen Konventionen – doch warum eigentlich? Wenn der Wunsch nach Sexualität da ist, sollte er auch im fortgeschrittenen Alter erfüllt werden.
Im Alter verändert sich vieles – gemäß traditioneller Auffassung auch das Sexleben. Noch immer ist die Gesellschaft oft der Auffassung, dass die Lust im Alter nichts verloren habe. Mit dem 2008 erschienenen Film „Wolke 9“ machte Regisseur Andreas Dresen Liebe und Sex im Alter zum Thema und konnte damit den Beginn eines Umdenkens anregen. Und dieses war auch vor mehr als zehn Jahren bereits überfällig.
Denn eine Studie aus dem Jahr 2019 sagt es ganz deutlich: Männer und Frauen über 68 sind demnach zwar etwas weniger sexuell aktiv, denken aber fast ebenso viel an Sex wie die Vergleichsgruppe im Alter zwischen 22 und 36. Ein Drittel der 60- bis 82-Jährigen berichtete allerdings sogar von höherer sexueller Aktivität und mehr sexuellen Gedanken als die jüngeren Studienteilnehmer. Haben die betagteren Studienteilnehmer weniger Sex als früher, so hinge das laut der Statistik zum Sex im Alter meistens mit Krankheiten oder dem Fehlen eines Partners zusammen.
- Micus, Andrea (Autor)
Forschungsergebnisse sagen außerdem, dass die normalen sexuellen Reaktionen im Alter eigentlich gleichbleiben – bis auf ihr Tempo: Alles läuft mit dem Älterwerden etwas gemächlicher ab. Außerdem kommt es betagten Sexualpartnern nicht mehr hauptsächlich darauf an, sexuelle Höchstleistungen zu vollbringen. Der Orgasmus rückt in den Hintergrund, es ist für viele eher das ruhigere Liebesspiel, das sie nun mehr als früher genießen. Ein befriedigendes Liebesleben ist dabei für Frauen bis ins hohe Alter möglich.
Männer blieben zwar zeugungsfähig, allerdings läuft alles in einem ruhigeren Tempo ab – etwa die Erektion. Diese tritt im Alter zwar später auf, hält dafür aber länger als früher: Der Ejakulationsdrang ist nicht mehr so stark. Die Psychologie besagt zum Sex im Alter außerdem, dass ältere Liebende sich viel mehr auf Augenhöhe begegnen als jüngere. Sie wissen aufgrund ihrer Erfahrung nämlich ganz genau, was sie vor allem nicht wollen. Wenn der reine Geschlechtsakt zugunsten eines intensiveren Vorspiels etwas weniger Gewicht hat, kann der Sex im Alter sehr erfüllend sein.
Freier Umgang mit der eigenen Sexualität bleibt auch im Alter
Heutige Senioren waren in den 1970er-Jahren jung und lebten ihr Liebesleben dank der sexuellen Revolution bereits überwiegend ohne Scham aus. Sie möchten ihre Lust natürlich auch in der zweiten Lebenshälfte ohne Einschränkungen genießen – und finden keinesfalls, dass ein Liebesleben Ü60 nicht mehr stattfinden darf. Vom Küssen und Umarmen in der Öffentlichkeit bis zu einem erfüllten Sexleben ist für diese Generation der Sex im Alter weit entfernt von beklemmenden Tabus. Auch wenn es in ihrer Elterngeneration noch ganz klar war, dass für Frauen mit der Fruchtbarkeit auch die Libido ein Ende haben sollte und lustvolle Seniorenmänner höchstens als lüstern galten: Wer seine Sexualität während seines ganzen Erwachsenenlebens zu schätzen wusste, hat auch im Alter noch bewegte Bettgeschichten zu erzählen. Frei nach dem Motto: Hört auf das Herz Symbol.
Immer mehr alleinstehende Senioren nehmen daher an Speed Datings speziell für ihre Altersklasse teil. Gemäß dem Film „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ von Jan Georg Schütte aus dem Jahr 2014 haben sie Lust, einen neuen Partner oder eine neue Partnerin kennenzulernen. Ob daraus eine Lebenspartnerschaft oder eine intime Liebespartnerschaft wird, ist dabei offen. Psychologen erläutern, dass ältere Menschen auch zunehmend an Flirtkursen teilnehmen. Sie wollen wahrgenommen werden und sich wegbewegen vom „grauen Mensch in der Gesellschaft“. Und durch das Kennenlernen eines neuen Partners – und möglichen Sexualpartners – sind sie auf einem guten Weg dazu.
Sex im Alter ist anders – aber keinesfalls schlechter
Wichtig ist beim Sex im Alter: Das Orientieren und Festhalten am jugendlich-kraftvollen Selbstbild sollten vor allem Männer im Rentenalter allmählich loslassen. Denn natürlich hat ein Mitte-60-Jähriger nicht mehr die Muskelmasse eines Mittzwanzigers. Damit geht weniger Kraft einher. Männer im fortgeschrittenen Alter, die diese natürlichen Veränderungen zulassen und akzeptieren, setzen sich weniger Druck aus. Umso besser klappt es dafür auch mit dem – altersgerechten – Liebesspiel.
Der Körper von Frauen macht im Alter ebenfalls einen Wandel durch. Die Wechseljahre reduzieren das Bilden des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen. Dadurch verändern sich ihre Sexualorgane. Zum Beispiel sinkt die Durchblutung der Scheiden-Schleimhäute und die Scheide wird nicht mehr so feucht wie in jungen Jahren. Frauen, die diese natürlichen Prozesse annehmen, können Schmerzen beim Sex einfach mit Hilfsmitteln wie Gleitgel vorbeugen. Ist für alles altersgerecht gesorgt, erleben auch Frauen im hohen Alter sehr befriedigende Orgasmen. Experten empfehlen Seniorinnen Liebeskugeln, um die Kraft der Vagina zu erhalten. Auch Sextoys können im Alter noch einmal eine ganz neue Relevanz erhalten.
Ob Mann oder Frau: Senioren, die in einer Partnerschaft leben, haben zwar seltener Sex als früher, doch keineswegs schlechteren. Oft spielt auch der eigentliche Geschlechtsverkehr eine geringere Rolle als etwa erotische Intimität, die nun eher zärtlich ist. Ältere Liebende sollten zudem auf Stellungen achten, bei denen idealerweise beide Partner liegen – so wird beim Sex im Alter Schmerzen durch geringere Beweglichkeit vorgebeugt.
Sex im hohen Alter: Enttabuisierung dringend nötig
Sexualität ist ein Grundbedürfnis, das mit dem, auch sehr hohen, Alter keinesfalls verschwindet. Zärtlichkeit, Intimität und Erotik sind auch dann noch dringende Wünsche, wenn die körperliche oder kognitive Leistungsfähigkeit altersbedingt nachlässt. Eine Statistik zum Sex im Alter sagt aus, dass jede dritte Frau und jeder zweite Mann zwischen 71 und 80 im vorangegangenen Zeitraum von zwölf Monaten mit seinem Partner Sex hatte. Das macht klar: Auch im hohen Alter gehört Sex zum Leben dazu.
Im Pflegealltag ist die Sexualität der Pflegebedürftigen daher ebenfalls ein Thema. Denn für sie ist es bedeutsam, zumindest im Hinblick auf ihre eigene Sexualität noch selbst entscheiden zu können. Damit ist dann aufgrund der Umstände vor allem die Selbstbefriedigung gemeint. Dadurch können die Pflegebedürftigen ihre Lebensqualität noch stark verbessern. Sind Erkrankungen wie Demenz im Spiel, ist allerdings die Professionalität des Pflegepersonals gefordert. Denn Betroffene zeigen oft ein enthemmtes Sexualverhalten, etwa in Form öffentlicher Selbstbefriedigung.
Dass die UN-Menschenrechtskonvention Menschen mit Behinderung das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zuspricht, gibt diesem Thema Gewicht. Sogenannte Sexualassistent*innen oder „Berührer*innen“ können den Betroffenen neben deren Selbstbefriedigung dabei helfen, ihre Bedürfnisse an Sex im hohen Alter und/oder bei einhergehender Behinderung erfüllen zu können. Einige Pflegeheime stehen diesem Thema offen gegenüber.
Fazit: Sex im Alter ist wichtig, absolut normal und sehr gesund
Wer im Rentenalter nach wie vor Lust auf Sex hat, sollte dieser auf jeden Fall nachgeben. Er oder sie muss keinesfalls auf vermeintliche gesellschaftliche Konventionen Rücksicht nehmen. Auch mit 70, 80 oder mehr Jahren gehört der Wunsch nach sexueller Erfüllung zum Leben – und sollte tunlichst berücksichtigt werden – ob mit einem neuen Partner aus dem Speed Dating, der Online-Partnerbörse oder mit dem altvertrauten Lebensgefährten. Selbst im Pflegeheim gibt es Möglichkeiten, seine Sexualität zu leben.